BlueHealthTech-Bündnis trägt Früchte

BlueHealthTech-Bündnis trägt Früchte

Innovative Gesundheitstechnologien aus dem Meer – in der Region Kiel werden sie Realität. Um das Wissen aus der Meeresforschung in die medizinische Anwendung zu bringen, verbindet das Innovationsbündnis BlueHealthTech regionale Partner aus Wissenschaft, Gesundheitswesen und Wirtschaft. Eines von vielen eindrucksvollen Beispielen ist das Unternehmen osteolabs, das so lebensrettende Frühdiagnosen für zahlreiche Krankheiten ermöglichen will.

Für seine Forschungsexpeditionen in die entlegensten Winkel des Planeten ist das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel weltbekannt. Doch die meereswissenschaftliche Forschung beschränkt sich nicht nur auf ein breites Spektrum von physikalischen, chemischen, biologischen und geologischen Prozessen im Ozean. In den vergangenen Jahren rückten biomedizinische Fragestellungen immer stärker in den Fokus der GEOMAR-Forschenden.

BlueHealthTech verbindet zwei Welten

„Hier treffen zwei Welten aufeinander, die scheinbar nicht viel miteinander zu tun haben: Meeresforschung auf der einen Seite und Medizin auf der anderen. Diese beiden Bereiche können von der fruchtbaren, interdisziplinären Zusammenarbeit sehr profitieren“, sagt Anton Eisenhauer, Professor für Marine Umweltgeochemie am GEOMAR und Koordinator von BlueHealthTech, dem Bündnis für innovative Gesundheitstechnologien aus dem Meer. Das Bündnis im Großraum Kiel wird seit Ende 2021 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit bis zu 15 Mio. Euro gefördert – zunächst auf sechs Jahre im Rahmen des Programms „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“.

Luftaufnahme des GEOMAR in Kiel ©Sarah Uphoff, GEOMAR

Neben dem GEOMAR zählen die Stryker Trauma GmbH, das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) und die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zu den Initiatoren des Bündnisses. Ziel ist die Entwicklung und wirtschaftliche Verwertung neuer aus der Meeresforschung stammender diagnostischer Ansätze zur Früherkennung chronischer Krankheiten, aber auch von biochemischen Wirkstoffen als Grundlage neuer Medikamente, die aus Meeresorganismen gewonnen werden. Das Netzwerk konzentriert sich auf die häufigsten chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Osteoporose, Hypertonie und neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer.

In der ersten Förderphase von BlueHealthTech gab es vier Ausschreibungen für Projektideen, zehn Forschungsprojekte wurden gestartet, vier warten noch auf ihre Bewilligung.

Osteoporose oder Prostatakrebs frühzeitig aufspüren

Ein gutes Beispiel, wie überraschend vielfältig die Anwendungsfelder für die Innovationen aus dem Meer sein können, liefert der Diagnostikspezialist osteolabs GmbH. Das GEOMAR Spin-off, das Professor Anton Eisenhauer im Jahr 2018 ausgegründet hat, nutzt Spurenelemente im menschlichen Körper als Biomarker für die Früherkennung einer gestörten Kalziumbilanz im Knochen. Zunächst konzentrierte sich das Team um Eisenhauer hierbei auf die Entwicklung und Vermarktung eines Tests, der den Kalziumverlust im Körper anzeigt und sich somit für die Früherkennung der degenerativen Knochenerkrankung Osteoporose eignet. „Doch in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, wie vielfältig einsetzbar unser biochemischer Test ist“, sagt Eisenhauer. Da viele hormonelle Störungen wie Schilddrüsen- und Krebserkrankungen ebenfalls in den Knochenmineralhaushalt eingreifen, lässt sich der Testansatz von osteolabs als Plattform nutzen und sehr gut auf andere Erkrankungen erweitern. „Derzeit entwickeln wir zusammen mit dem Institut für Klinische Chemie zum Beispiel einen Test zur Früherkennung von Knochenmetastasen bei Prostatakrebs“, so der osteolabs-Gründer.

Die Kieler arbeiten auch an einem Test für die Diagnose einer Nierenfunktionsstörung. „Das Schöne ist, dass unsere Testplattform Störungen im Kalziumhaushalt bereits messen kann, lange bevor Symptome auftreten. Die Stärke des Biomarkers ist neben seiner hohen Sensitivität die stabile und wenig komplexe Funktionsweise basierend auf anorganischer Chemie”, erläutert Eisenhauer.

Wie der Osteoporose-Test funktioniert

Die Idee dazu stammt aus der Korallenforschung am GEOMAR. Die Technologie der Calcium-Isotopen-Marker (CIM) nutzt das Verhältnis der Isotope Ca-44 und Ca-42 als Maß für den Knochenmineralhaushalt. Obwohl die Mineralogie von Korallenriffen und dem menschlichen Skelett unterschiedlich sind, ist ihr Hauptbestandteil jeweils Kalzium. Ein Verlust der Substanz macht sich in einem niedrigen CIM-Wert bemerkbar, der mittels Massenspektrometrie bestimmt wird. Mit nur wenig Blut oder Urin lässt sich mithilfe des von osteolabs neu entwickelten OsteoTest auch von zuhause aus das persönliche Risiko einer metabolischen Knochenerkrankung bestimmen. Für die Entwicklung des innovativen, nicht-invasiven Früherkennungstests erhielt das Team um Eisenhauer den Innovationspreis 2023 der Stadt Kiel.

Anton Eisenhauer im Labor © osteolabs

Auch wenn die Firma noch klein ist, sind die Methoden und Laborroutinen am GEOMAR bereits gut etabliert. Das Massenspektrometer läuft rund um die Uhr für die Messung der eingesandten Urinproben des OsteoTest-Kits, von denen laut Eisenhauer bisher mehr als 5.500 Stück verkauft worden sind. Damit der Absatz deutlich gesteigert werden kann, bemühen sich die Kieler aktuell um eine Anerkennung als leitliniengerechte Diagnostik.

Anwendung im klinischen Alltag – und darüber hinaus

Auf dem Weg in die Leitlinien helfen Daten aus Validierungsstudien. Erst kürzlich hat das osteolabs-Team Ergebnisse einer großangelegten klinischen Studie im Fachjournal Bone vorgestellt, die die Praxistauglichkeit des Tests nachweist. Zusammen mit Michael Müller, leitender Oberarzt am UKSH, wurden in der OsteoGeo-Studie rund 3.000 Patientenproben untersucht. Die Daten belegen die Verlässlichkeit und Reproduzierbarkeit des Tests und zeigen, dass der CIM-Wert stark mit verschiedenen metabolischen Knochenerkrankungen wie Osteoporose korreliert und sich somit als verlässliche Methode zur Früherkennung und Therapiebegleitung eignet.

Eine Vielzahl von Kooperationen zeigt die Einsatzmöglichkeiten des Testverfahrens. In einer Studie mit Ingo Froböse, Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln, kam der Test jüngst bei 38 jugendlichen Fußballern vor und nach intensivem Training zum Einsatz. Das ermöglicht es, den Kalziumverlust und Knochenschwund bei den Spielern frühzeitig zu erkennen und zu überwachen, um späteren Erkrankungen vorzubeugen. Da insbesondere Soldatinnen durch intensives Training deutlich stärker unter Kalziumverlust leiden als ihre männlichen Kollegen setzt auch die britische Armee den Test ein, um den Mineralhaushalt ihrer Soldatinnen zu überwachen, ihre körperliche Belastbarkeit in anspruchsvollen Situationen zu stärken und das Risiko von Knochenbrüchen in kritischen Momenten zu verringern.

BlueHealthTech: vom Frakturrisiko-Rechner bis zum Algenwirkstoff

Eine zunehmend wichtige Rolle spielt die die Digitalisierung: In „OsteoFrakRisk“, einem von BlueHealthTech geförderten Projekt, arbeitet osteolabs mit der Stryker Trauma GmbH zusammen. Der Spezialist für orthopädische Implantate bringt seine Expertise in das Projekt ein, in dem ein Algorithmus entwickelt wird, der das Frakturrisiko allein auf Basis des Calciumisotopen-Markers und des individuellen Alters berechnet.

Ein weiteres derzeit laufendes Projekt ist „FucoKiel“. Es erforscht die Eigenschaften von Fucoidanen. Diese bioaktiven Inhaltsstoffe werden aus Algen gewonnen, um der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) entgegenzuwirken.

Im Projekt „Pro-ASTAX“ wird die Astaxanthin-Produktion für medizinische Zwecke durch innovative Algorithmen zur Automation optimiert. Asthaxantin ist eines der stärksten bekannten Antioxidantien und wird durch die Mikroalge Haemactococcus pluvialis produziert.

In „MarPiM“ geht es um die biotechnologische Produktion von Wirkstoffen aus marinen Pilzen zur Prophylaxe metastasierender Melanome.

Die Zukunft von BlueHealthTech

Nach der erfolgreichen ersten Förderphase soll BlueHealthTech nun in die zweite Runde gehen. Die Verlängerungsanträge bis 2028 sind gestellt.

Zur Verstetigung des Netzwerks und seiner Aktivitäten werden dann verschiedene Wege geprüft: Eine kommerzielle Verwertungsgesellschaft könnte beispielsweise bei der Ausgründung und der Verwertung von Forschungsergebnissen und Patenten unterstützen. Denkbar sind auch Modelle wie eine gemeinnützige Stiftung oder eine gemeinnützige GmbH, die die BlueHealthTech-Strategie jenseits einer staatlichen Förderung in die Zukunft führen könnten.

Text: Christian Kähler, Philipp Graf

Beitragsbild: Markenbotschafterin Heike Henkel und Anton Eisenhauer am institutseigenen Aquarium. © osteolabs

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