Angewandte Hygiene: Resistente Klinik-Keime wirksam bekämpft

Angewandte Hygiene: Resistente Klinik-Keime wirksam bekämpft

Das vom Life Science Nord Cluster initiierte HIHeal-Konsortium bringt Fachleute für Infektionskrankheiten und Hygiene aus dem gesamten Norden zusammen. In einem erfolgreichen Kooperationsprojekt untersuchten die Akteure, wie gut Desinfektionsmittel bei antibiotikaresistenten Bakterienstämmen wirken, die im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) isoliert wurden.

Antibiotikaresistente Keime sind eine wachsende Bedrohung

Die stetige Zunahme von Bakterienstämmen, die gegen Antibiotika resistent sind, stellt eine erhebliche Bedrohung für die Menschheit dar. Da es diesen Mikroben gelungen ist, sich an das klinische Umfeld anzupassen, stellt sich die Frage: Wirken die Desinfektionsmittel, die im Rahmen der routinemäßigen Hygienemaßnahmen eingesetzt werden, noch gegen diese Keime?

„Wir erhalten regelmäßig Kundenanfragen, ob unsere Desinfektionsmittel auch bei MRSA oder anderen antibiotikaresistenten Bakterien wirksam sind“, sagt Johannes Lenz, Leiter der Abteilung Mikrobiologie und Hygiene beim Chemikalienhersteller Chemische Fabrik Dr. Weigert.

Desinfektionsmittel töten Bakterien durch eine Vielzahl von Mechanismen ab, die völlig anders wirken als Antibiotika. „Wir können daher die Wirksamkeit unserer Produkte immer bestätigen. Aber wir wollen den Anwendern auch den wissenschaftlichen Nachweis liefern“, betont Lenz.

Klinisch relevante Bakterienstämme

Eine andere Frage ist: Spiegeln die europäischen Referenzbakterienstämme, die wir für die Wirksamkeitsprüfung im Labor verwenden, noch das wider, was im echten Leben passiert?“, sagt Florian Brill, Inhaber und Geschäftsführer des Dr. Brill + Partner Instituts für Hygiene und Mikrobiologie, einem unabhängigen Prüflabor mit Sitz in Hamburg. Die beiden drängenden Fragen zur Wirksamkeit wurden in einem erfolgreichen Verbundprojekt im Rahmen des vom Cluster Life Science Nord koordinierten Netzwerks Hygiene, Infection & Health (HIHeal) aufgegriffen und beantwortet.

„Das Schöne an diesem Projekt ist, dass wir klinisch relevante Stämme für die Wirksamkeitstests verwendet haben“, sagt Brill. Das Team um den medizinischen Mikrobiologen Johannes Knobloch vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) stellte aus seiner Sammlung antibiotikaresistente Bakterienstämme zur Verfügung, die in den letzten Jahren am UKE und in anderen deutschen Krankenhäusern klinische Ausbrüche verursacht hatten. Zum Club der berüchtigten Krankenhauskeime zählten Stämme von Arten wie

  • Staphylococcus aureus,
  • Pseudomonas aeruginosa und
  • Klebsiella pneumoniae.
In einem Kooperationsprojekt testete Dr. Florian Brill, der Eigentümer und Geschäftsführer von Dr. Brill + Partner, die Resistenz neuer Mikroben. © Florian Brill
Dr. Florian Brill, Inhaber und Geschäftsführer von Dr. Brill + Partner testete in einem Kooperationsprojekt die Resistenz von neuen Mikroben. © Florian Brill

Desinfektionsmittel erfüllen ihren Zweck

In der Studie wurde die Wirksamkeit von vier Flächendesinfektionsmitteln, zwei Mittel des Desinfektionsmittelherstellers Bode Chemie und zwei Mittel von Dr. Weigert, in den firmeneigenen Labors und im Labor von Dr. Brill + Partner getestet. Die Ergebnisse waren beruhigend: Alle vier Flächendesinfektionsmittel erfüllten ihre Aufgabe perfekt und wirkten effektiv. Auch eine Verschiebung der effektiven Konzentration der Desinfektionsmittel konnten die Forschenden nicht feststellen.

„Eine weitere Schlussfolgerung ist, dass die Referenzstämme nach den europäischen Normen immer noch die aktuell in Kliniken grassierende antibiotikaresistente Bakteriengemeinschaft widerspiegeln“, sagt Brill. Er ist überzeugt, dass die Validierung und Generierung solider Daten entscheidend dabei hilft, internationale Desinfektionsmitteldatenbanken und verschiedene Desinfektionsmittellisten in Deutschland auf den neuesten Stand zu bringen.

Das Projektteam bereitet nun die Ergebnisse auf und wird sie in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlichen. Wie interessant die Daten für die Wissenschaft sind, wurde auf der Tagung für Angewandte Hygiene, Mikrobiologie und Virologie (CAHMV) Ende November 2022 in Hamburg deutlich. „Das war offensichtlich der Konferenzvortrag mit den meisten Fragen und wir hatten eine lebhafte Debatte“, erinnert sich Brill. Sein Unternehmen ist der Hauptorganisator der jährlichen Konferenz.

Ein möglicher nächster Schritt im Projekt wäre die Ausweitung der Tests auf weitere Desinfektionsmittel. „Man könnte sich auch andere Testszenarien vorstellen – zum Beispiel auf Oberflächen statt in Suspension“, erklärt Brill. Er hofft, dass sich weitere wissenschaftliche Gruppen und Partner an dieser Mission beteiligen werden.

Wie HIHeal die Zusammenarbeit stärkt

Laut Brill ist das Projekt auch ein Beispiel für die Stärken und Möglichkeiten des HIHeal-Netzwerks, das 2016 gegründet wurde. „Indem wir verschiedene Akteure aus der Privatwirtschaft, den Kliniken und der Wissenschaft miteinander verbinden, können wir gemeinsame Projekte auf den Weg bringen, die sonst nicht zustande gekommen wären“, so Brill. Insbesondere sein Unternehmen fungiere als Plattform und Vermittler zwischen den eher wissenschaftlich orientierten Experten in den Kliniken und Universitäten auf der einen und den privaten Unternehmen auf der anderen Seite. „Viele der industriellen Akteure sind in bestimmten Bereichen auch Konkurrenten. Normalerweise würden sie sich an einem solchen Projekt eher nicht beteiligen. Unter dem Dach von HIHeal ist es jedoch einfacher, zusammenzuarbeiten und die entsprechenden Experten zusammenzubringen“, sagt er.

Auf diese Weise trägt das Netzwerk aktiv dazu bei, nachhaltige Verbindungen im gesamten Ökosystem für Infektionskrankheiten und Infektionsprävention im Norden herzustellen. Das Projekt zur Prüfung der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln warf auch einige Probleme in Sachen Vertraulichkeit auf, die gelöst werden mussten. „Alle waren offen für die Lösung dieser Probleme, weil wir alle am Ergebnis und an der Wissenschaft dahinter interessiert waren“, erklärt Brill.

Der Kooperationsgedanke war es auch, der Johannes Lenz von Dr. Weigert an diesem HIHeal-Projekt besonders gefiel: „Die Zusammenarbeit zwischen Desinfektionsmittelherstellern, Prüflaboren und Anwendern ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie praktische Lösungen Hand in Hand entwickelt werden können.“

Perspektiven der Vernetzung

Juliane Worm, Director Innovation & Technologies bei Life Science Nord, und bis Ende 2022für HIHeal verantwortlich, ist nicht nur mit dem Ergebnis des jeweiligen Projekts zufrieden, sondern auch von der erfolgreichen Vernetzung begeistert. „Die HIHeal-Aktivitäten werden von der Hamburger Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWI) ein weiteres Jahr im Jahr 2023 gefördert“, sagt Worm. „Das ist eine gute Nachricht für die vielen Bereiche, die in diesem Projekt bearbeitet werden.“

Text: Philipp Graf

Beitragsbild: © Florian Brill

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